Fukushima in Presse und Fernsehen: Projekt abgeschlossen

Das schwere Seebeben vor Japan am 11. März 2011 hat zwei Katastrophen ausgelöst – einen extremen Tsunami und den Reaktorunfall in Fukushima. Beide Ereignisse haben weltweit massive Reaktionen der Medien ausgelöst, wobei schnell der Eindruck entstand, dass die Berichterstattung in Deutschland vor allem auf den Reaktorunfall konzentriert war, während beispielsweise in Groß Britannien sehr viele Bilder des Tsunamis und der durch ihn verursachten Schäden zu sehen waren. Schon nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 war aufgefallen, dass es große Unterschiede in der Medienberichterstattung gab: Während die deutschen Medien den Unfall vorwiegend als spezifisches Problem und unvermeidliche Konsequenz der Nutzung von Kernenergie darstellten, wurde der Unfall beispielsweise in den französischen Medien als konkretes Problem russischer Sicherheitsstandards und nicht als allgemeines Risiko der Kernenergienutzung dargestellt (zur Geschichte der Kernenergieberichterstattung s. Kepplinger & Lemke, 2014, Framing Fukushima. Zur Darstellung der Katastrophe in Deutschland im Vergleich zu Großbritannien, Frankreich und der Schweiz).

Vor diesem Hintergrund haben wie die Berichterstattung über das Seebeben vor Japan, den Tsunami und die Reaktorkatastrophe vom 11. März 2011 bis zum 10. April 2011 in 25 Zeitungen und Zeitschriften sowie 12 Fernseh-Nachrichtensendungen aus Deutschland, Frankreich, England und der Schweiz in einem großen Forschungsprojekt quantitativ inhaltsanalytisch untersucht.
Die wichtigsten Ergebnisse kann man zu sechs Feststellungen zusammenfassen: (1) Deutsche Medien haben über die Katastrophe in Japan wesentlich intensiver berichtet als die Medien anderer Länder. (2) Deutsche Medien haben vor allem wesentlich mehr Berichte über die Reaktorkatastrophe und Bilder davon gebracht. (3) Sie haben schon am dritten Tag intensiv über die Bedeutung der Reaktorkatastrophe in Japan für die Kernenergie in Deutschland berichtet – ein Thema, das vor allem in England und Frankreich keine große Rolle spielte. (4) Die Konzentration auf die Kernenergie in Deutschland wurde vom Beschluss der Bundes- und Landesregierungen zu einem Moratorium zusätzlich angeheizt. (5) Die Medien in Deutschland und der Schweiz haben im Unterschied zu den Medien in Frankreich und England sehr häufig Forderungen nach einem Ausstieg aus der Kernenergie veröffentlicht. (6) Bei fast allen Medien bestand ein Zusammenhang zwischen den wertenden Aussagen der Journalisten zur Kernenergie und den Urteilen der zitierten Experten. So wurden beispielsweise die positiven Aussagen über die Kernenergie der Journalisten in Le Figaro von positiven Expertenaussagen begleitet, die negativen Aussagen der Journalisten in der Süddeutschen Zeitung von negativen Expertenaussagen.

Weil die Kernkraftwerke in den vier Ländern ähnliche Sicherheitsstandards besitzen und weil die Entfernung zur Gefahrenquelle in Japan ähnlich groß ist, kann man die Unterschiede nicht durch die berichtete Realität erklären. Man kann sie auch nicht durch die Verfügbarkeit von Bildern erklären, weil viel mehr dramatische Aufnahmen von den Verheerungen des Tsunami vorlagen als von dem Reaktorunfall und seinen Folgen. Die erwähnten Unterschiede sind vielmehr eine Folge der spezifischen Sichtweisen in den jeweiligen Ländern, die innerhalb von Jahrzehnten entstanden sind.

Update

Die Tageszeitung Die Welt widmet unserer Studie eine ganze Seite in der gedruckten Fassung, sowie in der Online-Ausgabe.

Update 2016

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind in zwei Publikationen veröffentlicht:

Kepplinger, H.M. & Lemke, R. (2014). Framing Fukushima. Zur Darstellung der Katastrophe in Deutschland im Vergleich zu Großbritannien, Frankreich und der Schweiz. In J. Wolling & D. Arlt (Hrsg.), Fukushima und die Folgen – Medienberichterstattung, Öffentliche Meinung, Politische Konsequenzen (S. 125-152). Ilmenau: Universitätsverlag. Online verfügbar (open access) unter: http://neu-kommunikation.de/25-0-Fukushima.html

Kepplinger, H. M. & Lemke, R. (2016). Instrumentalizing Fukushima: Comparing Media Coverage of Fukushima in Germany, France, the UK, and Switzerland. Political Communication, 33, 351-373. Online verfügbar (nach UB-Lizenz) unter: http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10584609.2015.1022240